Aus der Schreibwerkstatt 2007

Portrait

Sie steht unter den Magnolienbäumen, deren weiße Blüten sie so sehr liebt, an einem Beet und zupft Unkraut. Ihr Rücken ist, wie so oft in ihrem Leben, gebeugt. Obwohl die Gartenarbeit ihr mit zunehmendem Alter immer mehr zur Last geworden ist, will sie damit nicht aufhören, sie weigert sich, ihren geliebten Garten aufzugeben.

Hinter dem hohen Zaun ist sie kaum zu sehen. Obwohl sie nur bei der Gartenarbeit ist, hat sie dennoch auf ihr Äußeres geachtet, sie trägt ihre kleinen weißen Perlenohrringe und hat trotz des kalten Windes auf eine Mütze verzichtet, um die Locken, die sie sich gestern erst frisch aufgewickelt hat, nicht zu zerdrücken.
Ein Lächeln erhellt ihr von Falten zerknittertes Gesicht, als ihr Blick auf den rot getigerten Nachbarskater fällt, der über den Rasen auf sie zukommt. Schnurrend reibt das Tier sich an ihren Beinen, erhofft es sich doch einen der Leckerbissen, den sie ihm so oft zusteckt. Sie ist, was das betrifft, einfach zu gutherzig.

Sie ist überhaupt sehr eigensinnig. An der Wand der Garage lehnt noch ihr altes Fahrrad, auf dem sie im Alter von dreiundachtzig Jahren noch gefahren ist.
Ohne Helm, versteht sich – wegen ihrer Locken.

Marcella Melien