Eindrucksvolle Begegnung

Die schrecklichen Ereignisse des Holocaust liegen nun bereits 75 Jahre zurück, und die wenigen Überlebenden sind inzwischen sehr alt. Insofern war es ein großer Glücksfall, dass es der Diltheyschule mit Hilfe der Mutter einer Schülerin gelang, eine Videokonferenz mit Eva Erben für den Abiturjahrgang einzurichten.

Eva Erben war elf Jahre alt, als sie mit ihrer Mutter und ihrem Vater aus Prag nach Theresienstadt verschleppt wurde. Vorher hatte sie eine glückliche Kindheit in guten materiellen Umständen gehabt, nun musste sie mit tausende anderer Menschen in kalten Schlafsälen hausen, am Anfang auf einem Strohsack am Boden, und tagsüber auf den Feldern arbeiten. Unterricht für die Jugendlichen war streng verboten.

Von dort aus wurde sie 1944 in die Hölle von Auschwitz gebracht, die sie zusammen mit ihrer Mutter 1945 in einem der Todesmärsche wieder verließ. Ihre Mutter starb auf dem Marsch an Hunger und Erschöpfung, Eva aber überlebte durch einen Zufall und wurde von Bauern aufgenommen, bis der Krieg vorbei war.

Wenn wir erwartet hatten, eine bittere, ernste alte Frau zu erleben, deren Leben von den Schrecken ihrer Jugend überschattet worden war, so konnten wir eine große Überraschung erleben. Frau Erben ist eine hellwache, freundliche und zugewandte alte Dame, die ihr Leben mit großer Kraft und mit unbezwingbarem Optimismus gestaltet hat. Die starke Liebe ihrer Eltern war dabei eine wichtige Kraftquelle. Frau Erben erzählte, dass ihre Mutter sie in Auschwitz beschützt habe, so dass sie die furchtbarsten Gräuel nicht anschauen musste. Wie in einer Trance oder Narkose habe sie diese Zeit erlebt.

Zurück in Prag lernte sie ihren Mann kennen, auch er hatte seine gesamte Familie an die Nazimörder verloren. In Israel, wo sie noch heute wohnt, begannen die beiden ein neues Leben.

Für die jungen Erwachsenen, die in wenigen Wochen ihr Abitur machen, wie auch für die teilnehmenden Lehrkräfte war es ein unglaubliches Erlebnis, Frau Erben so freimütig und freundlich über jeden Aspekt ihres Lebens reden zu hören, auf den die Schülerinnen und Schüler neugierig waren. Sie erzählte von den KZs und vom Todesmarsch, aber sie äußerte sich auch zum Antisemitismus und der Bedeutung des Staates Israel, der für sie in erster Linie ein sicheres Zuhause für alle jüdischen Menschen ist. Es ist schrecklich, dass man das über unser Heimatland nach den Erfahrungen der letzten Jahre nicht sagen kann.

Was wir alle aus diesen zwei sehr besonderen Unterrichtsstunden mitnehmen, ist eine zutiefst bewegende Erkenntnis:  Es gibt Menschen, die sich nicht brechen lassen, sondern trotz der unmenschlichsten Behandlung, die man sich vorstellen kann, festhalten – an der Liebe, an der Freude, am Glück, am Leben zu sein.

 

Claudia Oedekoven