Wie wird man ein Neonazi? - Philip Schlaffer berichtet dem Jahrgang Q3

Das Atrium ist gesteckt voll, vorne ein gedrungener Mann mit Karohemd und lebhafter Gestik: Philip Schlaffer, Aktivist und You-Tuber, besucht die Diltheyschule. Unterstützt durch die Friedrich - Naumann - Stiftung ist er in die Schule gekommen, um den Jugendlichen von seinem Werdegang zu erzählen und davon, wie er sich von der mörderischen Rechten lösen konnte.
Dabei räumt er mit einigen Klischees auf, so zum Beispiel mit dem, dass Nazis generell eine schwere Kindheit bei asozialen Eltern im randständigen Milieu hinter sich haben. Auf der Leinwand hinter ihm erscheint das Bild eines fröhlichen Jungen mit Schultüte, und Schlaffer erläutert, dass er aus einer bürgerlichen Familie stammt, der Vater Ingenieur, die Mutter technische Zeichnerin, ein normales Zuhause.

Brüche in seinem Leben hat es dennoch gegeben. Der Umzug nach England, als Philip zehn Jahre alt war, die Rückkehr vier Jahre später lösten jeweils heftige Krisen aus, mit Erfahrungen von Mobbing, Einsamkeit und Schulversagen. Dabei fehlte der Rückhalt der Eltern, das Verständnis und die Unterstützung. Geliebt sei er nur für Leistung worden, und gerade diese fiel ihm nach seiner Rückkehr schwer, er musste das Gymnasium verlassen und eine Realschule besuchen. Hier tat er sich mit den Raufbolden und Troublemakern zusammen, im Bauch die Wut auf Eltern und Lehrer. Philip Schlaffer erklärt den Jugendlichen, wie verführerisch die Naziideologie gerade für einen Jugendlichen ist: Wer hört nicht gerne, dass er oder sie zu den wertvollsten Menschen der Welt gehört, einfach nur, weil in Deutschland als Kind deutscher Eltern geboren? Wer glaubt nicht gerne, dass eigene Probleme und eigenes Versagen die Schuld anderer sind- der Weltfinanz, des tiefen Staates oder des Weltjudentums?

Für Philip führte der Weg jedenfalls schnell in die Arme der braunen Kameradschaft, zu Demos mit der Reichskriegsflagge, zu Massenschlägereien und Waffenkäufen. Auf einem Bild, dass ihn als Achtzehnjährigen zeigt, posiert er stolz mit einer Kalaschnikow, von ihm liebevoll „Kaschi“ genannt. Eine gewisse Ambivalenz ist immer noch zu spüren, wenn er über seine Vergangenheit spricht, obwohl er schonungslos über seine Verbrechen, wie zum Beispiel die Körperverletzungen, und die Gefängnisaufenthalte berichtet. Es war schrecklich, gewiss, aber es war wohl auch ein aufregendes Leben. Die Jugendlichen an der Diltheyschule, deren Alltag weit weniger Spannung und Gefahr bietet, lauschen fasziniert diesen Geschichten und stellen viele Fragen, die geduldig beantwortet werden.

Philip Schlaffers Mut und die Konsequenz, mit denen er sich letztlich von den Nazis losgesagt hat und nun seine Erfahrungen an junge Menschen weitergibt, sind sehr zu bewundern. Für den Jahrgang Q3 war es eine außergewöhnliche Lektion in politischer Bildung, die die Jugendlichen gewiss nicht vergessen werden.

Claudia Oedekoven