Mit Arpinaten über Rom nach Arpino - eine ganz besondere Dienstreise

Arpinaten? Was in aller Welt ist das denn?

Arpinaten werden die Teilnehmer eines ganz besonderen Wettbewerbs genannt.

Jedes Jahr aufs Neue wird in Arpino, einem kleinen Dorf ca. 100 km südöstlich von Rom, das Certamen Ciceronianum ausgetragen – ein Lateinwettbewerb mit Teilnehmern aus vielen Ländern Europas. In diesem Jahr sind ca. 200 Schüler mit ihren Lehrerinnen oder Lehrern angereist, um an diesem Wettbewerb teilzunehmen.

Was genau verbirgt sich dahinter?

Eine der beeindruckendsten Veranstaltungen, die ich persönlich in den letzten Jahren erlebt habe!

Arpino ist ein kleines Dorf in den Bergen mit nur ca. 7000 Einwohnern. Bekannt bei „Insidern ist der Ort als Geburtsstätte von zwei Persönlichkeiten aus der römischen Antike: Marius (den Namen kennt man in der Regel im Zusammenhang mit Sulla) und Marcus Tullius Cicero erblickten hier das Licht der Welt. Für Marius gibt es ein Denkmal in dem kleinen Ort, für Cicero auch. Aber gerade auf Cicero sind die Menschen in Arpino besonders stolz und veranstalten jährlich den erwähnten Wettbewerb, bei dem ein Text Ciceros aus der lateinischen Sprache in die jeweilige Muttersprache übersetzt werden muss. In diesem Jahr war es – dies sei für die Altphilologen und die an der lateinischen Literatur Interessierten erwähnt – eine Stelle aus der 12. Philippischen Rede (Kapitel 11 bis 13). Hochmotiviert traten ca. 200 Schülerinnen und Schüler, Abiturienten und solche, die es nächstes Jahr werden wollen, mit einem Wörterbuch ausgestattet, an, sich in fünf Zeitstunden der Übersetzung des Textes und eines Kommentars desselben zu widmen. Gewonnen hat am Ende ein Römer, dies erfuhren wir in einer aufwändig und liebevoll inszenierten Preisverleihung am Sonntag vor der Abreise. Bis dahin haben die Italiener ein schönes Programm für Schüler und Lehrer zusammengestellt, es gab beispielsweise eine Stadtführung durch Arpino, die ortsansässige Schülerinnen und Schüler in diversen Sprachen anboten. Der weiteste Ausflug ging nach Montecassino, wo uns der Abt empfing und in lateinischer Sprache eine Rede hielt. Ein Höhepunkt war sicher auch der Besuch der Civitavecchia Arpinos, der so genannten Akropolis hoch oberhalb der Stadt, von wo aus man einen grandiosen Ausblick in die Berge der Abruzzen hatte. Kulinarisch bewegten wir uns auf unterschiedlichen Niveaus, vom Rotwein aus Plastikbechern bis hin zum Viergänge-Menü in einem Restaurant, wo die Stühle mit Stuhlhussen verschönert waren, war alles möglich.

Immer wieder kam ich mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern in Kontakt, ich habe viel über die Sprachenvielfalt in der Schweiz erfahren oder über ein Philologisches Gymnasium in Belgrad/Serbien. Die Schüler haben sich nicht minder vernetzt und hier und dort immer wieder neu den Kontakt zu anderen Schülern gesucht.

Und was hat uns alle verbunden, was war unsere gemeinsame Basis, überhaupt nach Arpino, in ein kleines Bergdorf, zu reisen? Die lateinische Sprache! Dies mag pathetisch klingen, aber dieser Gedanke hat mich sehr bewegt. Ich habe während dieser Reise ein gelebtes Europa gespürt. Die Liebe zu der alten Sprache hat uns verbunden, die Nationalität spielte keine Rolle, man hat einander verstanden. Und wenn es an einer gemeinsamen Sprache gemangelt hätte (man möchte fast „leider“ sagen, dass dies nicht der Fall war), hätten wir ja auf Latein ausweichen und uns in dieser alten (gar nicht so toten) Sprache weiter unterhalten können.

Mit zwei Schülerinnen und einem Schüler unserer Q2 durfte ich diese Reise unternehmen. Sowohl auf dem Hin- als auch auf dem Rückweg hatten wir einen Zwischenstopp in Rom, den wir intensiv für kulturelle Erlebnisse nutzten (die Ara Pacis, das Pantheon, der Blick auf das Forum, der Besuch des Palazzo Massimo seien hier in aller Kürze erwähnt).

Als mich eine Schülerin meiner Klasse fragte, was mein schönstes Erlebnis der Reise gewesen sei, musste ich lange überlegen. War es der Besuch des römischen Palazzo Massimo mit seinen beeindruckenden Mosaiken und den Faltenwürfen an großen Marmorstatuen? War es eine andere Betreuerin, die mit Eifer Plakate und Schilder mit lateinischen Aufschriften von den Häusern in Arpino abriss und als Andenken sammelte? War es gar das Kolosseum bei Nacht, das sich pittoresk in einer Pfütze spiegelte?

Ich konnte die Frage meiner Schülerin nicht klar beantworten. Erst zu Hause ist mir wieder eine Begebenheit eingefallen, die für mich persönlich den Besuch abrundete: Auf der Akropolis in Arpino kam ich mit einer serbischen Kollegin sehr schnell ins Gespräch. Sehr schnell wussten wir einiges voneinander, sie hat mir sehr lebendig von ihrer an modernen und alten Sprachen reichen Schule in Belgrad erzählt. Immer mal wieder sahen wir uns von Ferne, aber nie gelang es uns, die Adressen auszutauschen. Auf dem Rückweg nach Rom war dies mein Wermutstropfen, dass ich diese sympathische Frau nicht mehr getroffen habe. Und dann, bei der Besichtigung der großen römischen Kirche Santa Maria Maggiore, tippte mich plötzlich jemand von hinten an. Es war meine serbische Kollegin!

Wie sagt man doch immer: Die Welt ist ein Dorf! Ich habe es erlebt, als Europa in Arpino zusammenkam mit einem gemeinsamen Ziel: der Pflege der Alten Sprachen. Ich habe es erlebt, als ich feststellte, dass meine Zimmernachbarin im Hotel nahe Arpinos eine ehemalige Studienkollegin von mir ist. Und ich habe es erlebt, als ich in Rom eine Person wiedertraf, die ich in Arpino kennengelernt habe.

Ich danke dem Freundeskreis unserer Schule für die Unterstützung dieser wundervollen Reise und ich hoffe, dass noch viele Schülerinnen und Schüler und Kolleginnen und Kollegen in den Genuss kommen werden, das Certamen Ciceronianum selbst mitzuerleben.

Dagmar Thimme